Geschärfter Blick auf kindliche Begabungen

Baden (pts025/08.05.2017/12:15) – Während leistungsschwächere Kinder im Schulsystem generell viel Förderung erfahren, bleiben hochbegabte Schüler/innen leider oft unerkannt. Ein eigener Lehrgang an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich soll Lehrer/innen dabei helfen, Begabungen zu erkennen und gezielt zu fördern.

Mit der provokanten These, wonach 98 Prozent der Menschen hochbegabt auf die Welt kommen, es nach der Schule aber nur noch zwei Prozent sind, hat der österreichische Dokumentarfilmer Erwin Wagenhofer die schulpolitische Diskussion über Hochbegabung belebt. Spätestens seit seiner Kino-Dokumentation „Alphabet“ im Jahr 2013 ist das Thema auch im Bewusstsein der breiten Bevölkerung angekommen.

Ganz so extrem fällt die Situation für Hochbegabte im Österreichischen Schulsystem zwar nicht aus, glaubt Gerald Stachl. Vergleichsstudien wie etwa PISA würden jedoch zeigen, dass Österreich in der Anzahl der Spitzenschüler an Boden verliert. „Durch diese Erkenntnisse scheint man sich aktuell wieder auf den oberen Bereich des Begabungsspektrums zu besinnen, den man in den letzten Jahren leider etwas vernachlässigt hat“, so Stachl. Er leitet den „Lehrgang zur Begabungs- und Begabtenförderung – Specialist in Gifted Education“, kurz ECHA genannt. „In Niederösterreich bemerke ich unter den Lehrer/innen wieder eine verstärkte Nachfrage nach Inhalten, die dieser Lehrgang bietet.“

Lehrgang hilft, Begabungen wahrzunehmen

24 Teilnehmer/innen – 20 Frauen und vier Männer – absolvieren den dreisemestrigen Lehrgang derzeit an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich. Die Absolventinnen und Absolventen des Lehrgangs – allesamt im Schuldienst stehende Pädagoginnen und Pädagogen aus Volksschulen, Neuen Mittelschulen sowie Allgemeinbildenden und Berufsbildenden Höheren Schulen – möchten sich beim Erteilen von begabungsfördernden Unterricht weiterentwickeln und auch ihre Rolle als Multiplikatoren wahrnehmen. Ein weiterer Schwerpunkt der Ausbildung betrifft die Beratertätigkeit, die sie gegenüber Schüler/innen, Kolleg/innen und Eltern wahrnehmen sollen. „Der Lehrgang soll bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen erweiterten und geschärften Blick auf Begabungen bewirken“, so Lehrgangsleiter Stachl.

„Der Kurs hilft mir, begabte Kinder zu erkennen und meine Schule verstärkt in diese Richtung zu entwickeln“, erzählt Sigrid Fritsch, Direktorin am Bundes- und Bundesrealgymnasium Wieselburg. An ihrer Schule wird bereits eine eigene Klasse für besonders Begabte geführt. „Diese Schüler lernen in einem ganz anderen Tempo. Sie lieben es, sich geistig anzustrengen und haben vielseitige Interessen“, so Fritsch, die mit ihrem Modell einer eigenen Klasse für (Hoch)begabte bisher sehr gute Erfahrungen gemacht hat. Für schwächere Schüler gebe es an ihrer Schule ein eigenes Tutorensystem. Auf die Leistungsstarken Schüler werde im Schulsystem generell aber leider oft nicht so geschaut, bedauert die Direktorin.

Begabtenförderung hat nichts mit Elitenbildung zu tun

ECHA-Lehrgangsleiter Stachl sieht genau hier den größten Handlungsbedarf: in der Bewusstseinsbildung der Lehrer/innen, da bei vielen ein völlig falsches Bild von (Hoch)begabung vorliege. „Diese Kinder müssen nicht immer durch hervorragende Leistungen auffallen, wie es das Phänomen der sogenannten Underachiever verdeutlicht“. Also wenn Schüler/innen aufgrund von stetiger Unterforderung viel schlechtere Leistungen bringen als sie dazu im Stande wären. „Studien zeigen, dass permanente Unterforderung zu vergleichbaren Stresssymptomen wie dauernde Überforderung führt“, erklärt Stachl. Begabtenförderung in der Schule habe also nichts mit Elitenbildung zu tun und sei ein Recht der Schüler/innen, das im entsprechenden Grundsatzerlass aus dem Jahr 2009 auch entsprechend verankert ist, so Stachl.

Rollentausch im Klassenzimmer

„Viele Lehrerinnen und Lehrer, die diesen Lehrgang absolvieren, zählen selbst zu den sehr begabten Menschen“, ist Direktorin Sigrid Fritsch überzeugt. „Man ist dann selbst feinfühliger dafür, wie es diesen Schülerinnen und Schülern geht.“ Ihr Kollege Michael Leeb, einer von vier aus dem fernen Vorarlberg anreisenden Lehrgangseilnehmer/innen, sieht das genauso. Auch er sieht sich in gewissen technischen Bereichen hoch begabt – und empfindet das sehr positiv für seine Arbeit als Lehrer an der HTL in Dornbirn: „Wenn ich von einer Sache begeistert bin, begeistert das auch meine Schülerinnen und Schüler. Und dann macht das Unterrichten Spaß.“

Die (Hoch)begabten seiner Klasse bindet er auf besondere Weise in den Unterricht ein: Für Schüler/innen, die sich auf einem Gebiet besonders gut auskennen oder sich intensiv damit beschäftigt haben, besteht das Angebot, dazu zwei Unterrichtsstunden lang die Lehrerrolle übernehmen. „Ich sage Ihnen: die wollen immer“, erzählt Leeb, der jetzt an der HTL Software-Engineering unterrichtet, aber ursprünglich im Bereich der Industrie gearbeitet hat. „In der Wirtschaft ist es durchaus üblich, dass besonders Begabte ihr Wissen anderen weitergeben. In der Schule ist das oft noch ungewohnt.“

Wie können Eltern die Begabungen ihrer Kinder fördern?

Der ECHA-Lehrgang hilft den Teilnehmer/innen dabei, Konzepte wie dieses in ihren Unterricht zu integrieren und damit (Hoch)begabungen zu fördern. Wie können aber auch Eltern dazu beitragen, die Begabung ihres Kindes zu erkennen und richtig zu fördern? Lehrgangsleiter Gerald Stachl hat einige konkrete Tipps dafür: „Fördern Sie die vorhandene Neugier und lassen Sie Frühentwicklungen zu“. Manche Kinder zeigen bereits vor dem Schuleintritt großes Interesse an Zahlen, Berechnungen, am Lesen und vielen anderen Bereichen. „Unterstützen Sie dieses natürliche Interesse und vertrösten Sie die Kinder nicht auf das spätere Schulleben.“ Eltern hätten manchmal Bedenken, diese Frühentwicklungen zuzulassen und meinen, ihr Kind in „normale“ Bahnen lenken zu müssen, so Stachl. „Durch das Vertrösten der Kinder auf die spätere Schulzeit werden wertvolle Entwicklungsfenster verpasst, die sich bei einigen Kindern bereits vor der Schulzeit öffnen.“ Schließlich müsse dann aber auch die Schule in der Lage sein, mit geförderten Frühentwicklungen richtig umzugehen, damit die sogenannte „Spirale der Enttäuschung“ – das Kind stellt in den ersten Schulwochen fest, dass es in der Schule nichts Neues zu lernen gibt – vermieden wird.

Nähere Infos zum ECHA-Lehrgang zur Begabungs- und Begabtenförderung – Specialist in Gifted Education: https://www.ph-noe.ac.at/index.php?id=1201&nr=710

(Ende)

Aussender: Pädagogische Hochschule Niederösterreich Ansprechpartner: Walter Fikisz Tel.: +43 650 4721023 E-Mail: walter.fikisz@ph-noe.ac.at Website: www.ph-noe.ac.at